Freitag, 22. April 2011

Zwei Karfreitage



Heute, Karfreitag. Osasco bei Sao Paulo.
Haftzentrum für etwa 2000 meist junge Männer von 18 Jahren aufwärts.

Einer von ihnen ist Bruno. Im Hof , gedrängt, 400 - und die meisten noch nicht verurteilt. Sie warten auf ihr Kreuz. Nur Bruno kennt es schon: "7 Jahre". Wir stehen im Kreis, aufrecht, ausgestreckte Arme, sich berührende Hände; Blicke, die einander treffen, stille Konzentration. Jemand, und dann alle: "Vater unser im Himmel, ...  erlöse uns..." und gleich darauf 'Ave Maria ...' - 13 junge Männer, die meisten erst 14 Tage, vier Wochen hier - stimmen laut ein, unüberhörbar, gesammelt. Bruno und die in der Runde, dieselben Ministranten in neuer Umgebung? Eine Kathedrale im Ort des Leidens und der Ungewißheit? Einer mit 12 anderen von 2000 -  nicht allein.

Noch Einer in Osasco - seinen Namen erfahren wir nicht. Er redet nicht. Nicht mit uns, die seinen Käfig zweimal an diesem Tag passieren müssen. Ein Gestell aus groben Gitterstäben, in grellem Gelb. Ein Kubus von 3x3x3 m. Zwei Stahltüren schließen ihn ein ... und von der unmittelbaren Außenwelt ab. Acht Stunden 'verharrt' der Wärter dort Tag ein Tag aus, jede Woche, Jahre lang. Gott kennt seinen Namen. Drei Schritte in jede Richtung sooft er will. Seine eigenen Schritte und das Klacken des enorm große Eisenschlüsels im Schloß sind die einzigen Laute, die sein Ohr erreichen, und, diesmal, unser "boa tarde". Sein Mund bleibt stumm, sein Gesicht regungslos, als wir ihn grüßen. Einer in Osasco - unverhaftet, und doch 'in Haft'.  Wer spricht mit ihm 'Vater unser ... erlöse uns ..."? Einer - unschuldig, und doch  'mitgefangen' in Osasco bei Sao Paulo. (WL)

Sonntag, 17. April 2011

Der Stein ist weg


Grab mit Rollstein bei Megiddo; Foto: Alexander Schick

             "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen." Erleichterung. Neue Möglichkeiten tun sich auf. Hinauseilen aus dem Gefängnis der 'Unmöglichkeiten'. Die Gitter und hohen Steinmauern, die meine Sicht begrenzen, deine Gedanken von mir fernhalten, unsere gemeinsame Hoffnung nicht aufhalten können, sind zerbrochen - endlich! Zu lange musste ich warten, zu viel aushalten an Einsamkeit, dunklen Vorstellungen - bis die Nachricht mich wie eine Engelsbotschaft erreichte: 'Du kannst gehen. Du bist frei. Die Steine sind weg."

            Das ist die Botschaft, auf die 'ich' warte in Itaí, in Avaré, in Carandiru und an anderen Orten, an denen Gedanken und Gefühle leicht versteinern können - auch an Orten ohne Mauern, ohne Zementcharakteren als Zellengenossen und fünf Zentimeter starke Eisentüren! Das dunkle Loch der Traurigkeit geht heimlich mit, wohin ich meine Gedanken auch lenke. Aber ein Gedanke sitzt tief in mir, tiefer als jeder Abgrund überhaupt sein kann:  'Du kannst gehen. Du bist frei.' - meine Hoffnung gebe ich nicht auf. Niemals.

            Was werde ich fühlen, wohin mich wenden, wenn der Käfig sich öffnet, die schweren hohen Portale weit genug aufgehen? Ich werde erhobenen Hauptes hinausgehen! Wie, übrigens, hat Jesus, der Lebens- und Leidenskamerad, sich gefühlt, wie hat er reagiert, als plötzlich ein Lichtschimmer in sein dunkles Loch des totalen Abstiegs, des "kaum-noch-aushalten-Könnens" und der Ausweglosigkeit fiel? Er ist aufgestanden, auf die Lichtspalte zugegangen und hat den 'Grab-Loch-Stein' weggestoßen, der ihn gefangen hielt.

            Die Wärter am Loch meiner eigenen mächtigen Schatten, meiner Schuld und meiner Einsamkeit, meine nicht-verzeihenden Kritiker, meine Richter, werden, von meiner Hoffung und meinem Vertrauen geblendet, mich passieren lassen müssen. Er ist da - der Freisprecher. Ostern kommt zu mir. Der Stein ist weg. "Ich bin hier 'raus." ( siehe auch Matthäus 28,1ff)
Autor: Wolf

Samstag, 9. April 2011

"...hier noch etwas, was mich zum Denken angeregt hat" - - Brief aus der Frauenhaftanstalt Carandiru vom 23.07.2010


Der Mensch lebt aus dem Geist
und nicht aus dem Körper. 
Wenn er das weiß 
und sein Leben nicht in den Körper, sondern in den Geist verlegt, 
dann könnt ihr ihn in Ketten legen hinter Eisengittern; er wird immer frei sein.
Leo Tolstoi

Bild: Gabriele

Zu Tolstoi „Geist oder Körper – Körper oder Geist?“

Warum habe ich das getan? Warum bin ich hierher gekommen? Blöde Frage!? Geist oder Körper? Schnelles Geld! Blöde Antwort, oder doch nicht blöd!? Hätte ich doch nur auf meine innere Stimme gehört, dann wäre ich jetzt nicht hier. Die hat mir doch gesagt, mach es nicht, es geht in die Hose. War es jetzt  der Geist oder der Körper, oder beides, die da zu mir gesprochen haben? Und dann habe ich aus dem Bauch heraus entschieden. Geist oder Körper?   Na, jetzt bin ich hier!  Gefangen!
Hier ist mir eine Blume aufgegangen!

Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich wunderschöne Pflanzen mit leuchtend lila Blüten, nicht eingepflanzt von Menschenhand.  Nein, mit dem Wind oder den Vögeln hergeflogen, klettern sie die Gefängnismauer hoch und überall hin, ich schaue sie an und vergesse für Minuten die Mauern, die mich gefangen halten, die Mauern die gefangen halten, im mir selbst, durch körperliche  Belange wie Eifersucht, Neid, Hass, Besitz, Vorurteile etc… aber fangen die nicht im Geist an? Körper oder Geist?  Wenn ich die Blüten anschaue, vergesse ich für Minuten die Mauern, und ich fühle die Kraft, ich fühle die Ruhe, den Frieden, ich fühle die Schönheit, in mir, im Geist und im Körper, ich fühle die Kraft des Geistes, des Heiligen Geistes, der mich durchdringt und sich in mir manifestiert, der in  mir ist und in jedem Menschen, und ich fühle  mich  frei hinter Gittern.
Iche vergesse für Minuten, wie sehr ich meine Familie, meine Freunde vermisse, die keinen  Kontakt mit mir wollen weil ich sie angelogen habe, weil sie nicht verstehen können, wie ich so etwas machen konnte, und es tut mir in die Seele weh, sie nicht in die Arm nehmen zu können. Seele? Unsterblichkeit! Geist oder Körper?  Ich werde sie wieder sehen! Ich bin stark! Der Geist in meinem Körper ist stark, der Heilige Geist im mir macht mich stark und es zu wissen und daran zu glauben macht mich frei, frei hinter Gittern - und Glaube versetzt Berge. Mich auch!!!!
Gabriele
PS. Es würde mich interessieren, was andere Menschen darüber denken. Schreibt mir! Danke




Im Zeichen des Regenbogens - Ein Kommentar von "drinnen"



„Die Wüste -
 ein Busch
 ein Dornbusch.
 Der brennt -
 Heisser als heiss  -  Leidenschaft!
„Ich bin für dich entbrannt“



„Was in mir brennt,
wird mich nicht verzehren.
Ob glühender Zorn 
oder lodernde Leidenschaft 
oder brennende Schuld.
Gott, du bist hier
Hier ist heiliges Land. Jetzt.
Denn du bist unter uns.“

Brief von T.
 
„Wie versprochen hab ich mir ein paar Gedanken gemacht zu dem Bibeltext 2.Mose 3,1-12 (Anm. der Red.: Altes Testament, Text siehe weiter unten). Für mich geht es darin um folgende Aussage:

„Ein Bündnis mit Gott"
Der Bund zwischen Gott und Mensch ist anders als der Bund zwischen irdischen Wesen, in dem beide Partner gleichberechtigt sind. In dem Bund mit Gott gibt immer ER den Ton an, er wählt seine Bündnispartner aus, damit diese sein segnendes Handeln auf Erden umsetzen und verkünden. Durch kleine Wunder beweist Gott seine Macht und gibt seinen Bündnispartnern das Vertrauen und die Kraft, um ihre Bündnispflichten zu erfüllen.
Der Sinn des Bundes liegt in der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Der Bund Gottes ist ein Bund der Liebe; nd Liebe kann nicht bestehen, wenn sie nicht erwidert wird. Gott verspricht beizustehen solange Bündnistreue besteht. Mir persönlich gibt genau dieser von Gott versprochene Beistand die Hoffnung und Kraft schwierige Situationen wie die derzeit durchzustehen und an die Zukunft zu glauben.
Außerdem wird man gerade hier fast täglich durch einen Regenbogen am Himmel an das Bündnis mit Gott erinnert. Ich glaube daran, so wie ich an die Liebe glaube.

Viele Grüße T.
PS: Der Gottesdienst sollte unter dem Zeichen des Regenbogens abgehalten werden.“


 TEXT 2. Buch Mose, Kapitel 3, Verse 1-12
                 Mose hütete damals die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er die Herde von der Steppe hinauf in die Berge und kam zum Horeb, dem Berg Gottes.  Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch schlug. Als Mose genauer hinsah, bemerkte er, dass der Busch zwar in Flammen stand, aber nicht niederbrannte."Merkwürdig", dachte Mose, "warum verbrennt der Busch nicht? Das muss ich mir aus der Nähe ansehen." Der Herr sah, dass Mose sich dem Feuer näherte, um es genauer zu betrachten. Da rief er ihm aus dem Busch zu: "Mose, Mose!" "Ja, Herr", antwortete er. "Komm nicht näher!", befahl Gott. "Zieh deine Sandalen aus, denn du stehst auf heiligem Boden!  Ich bin der Gott deiner Vorfahren, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs." Mose verhüllte sein Gesicht, denn er hatte Angst davor, Gott anzuschauen.  Der Herr sagte: "Ich habe gesehen, wie schlecht es meinem Volk in Ägypten geht, und ich habe auch gehört, wie sie über ihre Unterdrückung klagen. Ich weiß, was sie dort erleiden müssen.  Darum bin ich gekommen, um sie aus der Gewalt der Ägypter zu retten. Ich will sie aus diesem Land herausführen und in ein gutes, großes Land bringen, in dem Milch und Honig fließen. Jetzt leben dort noch die Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
Ja, ich habe die Hilfeschreie der Israeliten gehört; ich habe gesehen, wie die Ägypter sie quälen. Darum geh nach Ägypten, Mose! Ich sende dich zum Pharao, denn du sollst mein Volk Israel aus Ägypten herausführen!"  Aber Mose erwiderte: "Ich soll zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen? Wer bin ich schon?"   antwortete: "Ich stehe dir bei und gebe dir ein Zeichen. 


„Ich kenne besondere Orte.
Ich wandere von einem in den andern.
Mein Geburtsort.
Mein Lernort, sprich Schule.
Berggipfel in schwierigem Gelände
Sao Paulo – Deutschland – Sao Paulo
Sie sind verbunden mit Besonderem in meinem Leben..
Standorte besonderer Art.
Und nun: Gottes Leidenschaft für mich?
Liebe, die nicht verzehrt, ein Standort für mich?“

Offene Fragen einer 'Pilgerin'
Inge



Stimmen

„Letzten Sonntag wartete ich vorne in der Kirche,
rechts an die Wand gelehnt,
auf die zweite Runde zum Abendmahl.
Und dann, plötzlich, spricht die Wand zu mir. Ich erschrak, da ich von dort nichts erwartete.

Es war nicht die Wand, die zu mir sprach, auch nicht Gott, sondern die Stimme des Pastors aus dem Lautsprecher.
Leicht zu erklären.“
Inge

(TEXTE von Gefangenen der Haftanstalt Itaí, Brasilien, und Gemeindegliedern aus einem Gottesdienst der Friedenskirche / Igreja da Paz am 13.2. 2011 in Sao Paulo /Santo Amaro.
http://luteranos.com.br/santoamaro/)