Mittwoch, 29. Dezember 2010

Wünsche ...

...an alle deutschen Häftlinge in ITAÍ und Avaré, gesendet am 28.12.10


Dass dir Gutes begegnet im neuen Jahr
Dass sich deine persönlichen Vorstellungen und Planungen erfüllen
Dass du die Kraft dir holst, auch in eingeengter Situation beweglich zu bleiben
Dass die Freude, die sooft entschwindet,  in dir Fuß fasst und wächst
Dass die Nächte dir gute Gedanken für den Tag bringen
WL

Statistik - Zahl der Häftlinge in Brasilien

Nach den neuesten Nachrichten, 27.12. 2010 (EFE), beträgt die aktuelle Gefängnisbevölkerung in Brasilien 494.237 Insassen, wobei die Zahl der Häftlinge sich  in den letzten 15 Jahren verdreifacht hat.
Nach Angaben des Justizministeriums lag die Zahl der Gefangenen im Jahr 1995 noch bei 148 000.  Zehn Jahre später hatte die Zahl der Gefangenen 361.402 erreicht. Das kommt einem Anstieg von 144% gleich.  Etwa 60,000 staatliche Angestellte arbeiten in brasilianischen Gefängnissen.

Zur Zeit, Dez 2010, sind im Bundesstaat Sao Paulo fünf deutsche Frauen und 12 deutsche Männer in drei Gefängnissen inhaftiert.

"Ich habe es geschafft !"

Die Rueckkehr ins Leben in "Freiheit"....

Ich habe meine Freiheit zurück,die Gitter nicht mehr vor Augen, wenn ich aus dem Fenster schaue.
Meine Strafe habe ich abgesessen und bin wieder ein "freier" Mensch!
Diese Freiheit geniesse ich seit September und bin zur Zeit einfach nur froh, noch etwas Zeit in
Brasilien zu verbringen, um auch die schönen Seiten des Landes zu erleben.
Habe viele liebe Menschen um mich herum die sich herzlichst um mich kümmern. Ich habe dass Gefuehl, diese Menschen machen keine Unterschiede, Sie geben mir Vertrauen, was mich echt
stärken tut.
Doch denke ich viel über meine Rückkehr nach Deutschland nach. Dort ist alles anders und auch die Mitmenschen werden es mir dort nicht leichter machen....doch sehe ich das alles als ein Beginn meines Neustartes in meinem Leben. Für meine Fehler habe ich bezahlt....die Rückkehr in ein Leben in "Freiheit" ist da.....

Autorin: N

Dienstag, 6. Juli 2010

Peregrino



„Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen.
Denn der Ort an dem du stehst ist heilig“
2. Buch des Mose Kapitel 3,5

Da sitzt er direkt neben dem Weg, angelehnt an eine Steinsäule. Die Sandalen hat er ausgezogen. Seine Füße berühren den „heiligen Ort“ Als wolle er sich ausruhen, sich Zeit nehmen. Der Blick ist in die Ferne gerichtet, auf die grauen Gebäuden eines Gefängniskrankenhauses für Frauen und Männer unweit der METRO- Station Carandiru´ im Norden Sao Paulo‘s. Drei Leute sind auf dem Weg, der auf einen blauen Himmel mit schweren weißen Wolken zuläuft. Es scheint, als ob das Blau und das Grauweiß das Gesicht des Pilgers berühren, das unsichtbar bleibt. Spiegeln sich in Himmel und Wolken seine Hoffnungen und Ängste?

857 Frauen, brasilianische und ausländische Häftlinge – darunter acht deutsche - im Frauengefängnis „Penetenciária Feminina da Capital“, in der Avenida Zaki Narchi, 1369, trennen nur einhundert Meter von diesem Bild. Ihre Füße kennen keine warme Erde unter den Füßen. Sie schlafen auf nacktem Boden aus Beton, steigen Steintreppen auf und nieder, blicken auf Gitterstäbe, die sie hier festhalten. Wenn sie über ihre hohen gesicherten grauen Mauern blicken könnten, würde sich ihnen genau diese Szene bieten: Jeden Tag, jeden Nacht verweilt ein Pilger (peregrino) an diesem besonderen Ort auf den Steinstufen eines Wegkreuzes. Seit Jahren schon, als hielte ihn etwas hier - etwas Ungewöhnliches, Einzigartiges. Das ‚Heilige‘ scheint ihn nicht loszulassen.

Pilger sind vielseitige Wesen: ´Mal auf fremden Wegen, ´mal auf der Suche nach sich selbst, ´mal ausgerichtet auf ein gesetztes Ziel. Innehalten und nach Vorne schauen gehört zu ihrem Wesen dazu. Wie zu dem Wesen der Frauen im Gefängnis von Carandiru: Pilgerinnen auf ihrem ganz persönlichen jeweils einzigartigem Weg. Auch sie - Menschen an ‚heiligem Ort‘. Wie die Stelle in der Wüste, an der der ‚Heilige‘ dem Pilger Moses begegnete und ihn dazu aufrief, Menschen aus ihrer Gefangenschaft, aus dem Ort der Hilflosigkeit und Gewalt, in eine neue, gute, Zukunft zu führen.

Moses ging zu Pharao. Schließlich überzeugte er ihn, die Gefangenen ziehen zu lassen. Aber die Häftlinge trauten der Freiheit nicht. Sie hatten sich eingerichtet in der Ohnmacht, in dem Ertragen der Umstände. Sie hatten die Abhängigkeit, das Gewohnte, lieben gelernt. Die Trägheit der Fremdbestimmung hatte sie in ihren Bann geschlagen.

„Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen. Denn der Ort an dem du stehst ist heilig“. Gottes Gegenwart und Zuwendung überlässt den Ort der Ohnmacht, der Einsamkeit, der Gewalt und des erbarmungslosen Gesetzes, mit einem Wort ‚die Wüsten‘ menschlicher Existenz , nicht sich selbst. Gottes Liebe, Vergebung und Souveränität, seine ‚Heiligkeit‘, wenden sich Menschen an solchen Orten zu. So als wolle er sagen: Ich kann nicht anders: „Ihr seid mir heilig, denn ich bin heilig; ich kann und will mich nicht verleugnen. Ich muss ich selbst bleiben. Ihr liegt mir am Herzen. Ich bin unter euch“

Er ruft auf zum Innehalten. Er, der selbst ‚peregrino‘ ist, ruft auf den Weg - den Weg der Freiheit, der Risikobereitschaft und der neuen Offenheit für das eigene Leben. (WL)

Offizielle Infos zum PFC-Carandiru siehe hier:

Montag, 28. Juni 2010

Brief aus dem Gefängnis

"Die Realität sieht anders aus"

"Nicht jeder, der einmal im Gefängnis saß, ist ein Mörder… Doch, wenn man schon wegen kleiner Delikte im Gefängnis saß, wird man hinterher oft wie ein Schwerverbrecher behandelt oder als schlimmer Krimineller angesehen. Aber nicht, weil man eine Straftat begangen hat, sondern weil allein das Wort ‚Gefängnis‘ ausreicht, eine solche Reaktion hervorzurufen. Viele Mitmenschen verschließen die Augen und das macht es Gefangenen nach Absitzen der Strafe viel schwieriger, den Einstieg in das normale Leben zu schaffen. Es gibt zwar Anlaufstellen, die Hilfestellung bieten, doch die können die Meinung z.B. von einem Arbeitgeber nicht ändern.

Vorstellungsgespräch

Arbeitgeber: Was haben Sie die letzten Jahre gemacht?
Ex-Gefangener: Meine Strafe im Gefängnis abgesessen…
Arbeitgeber: Gut. Sie hören dann von mir.

Mit dem Job hat es nicht geklappt. Die Familie, die sich erniedrigt fühlt – das schreibe ich aus eigener persönlicher Erfahrung, ich bin eine Gefangene, die ihre Strafe z.Z. absitzt – kann sich der Wahrheit und der Wirklichkeit nicht öffnen, weil andere die Scheuklappe aufhaben. Eigene Familienmitglieder können nichts erzählen, Bekannte oder Nachbarn nichts sagen, sondern sie antworten: „Oh, die ist verreist“ oder „ Sie arbeitet zur Zeit im Ausland“. In Wirklichkeit sieht es anders aus; denn die Tochter, Schwester, Mutter oder Enkelin sitzt im Gefängnis. Das selbst ist nichts Schlechtes, dass man für seine Straftat Buße tut, so hat es Gott schon in der Bibel gehalten…

Ich persönlich wünschte jedoch, Menschen würden ihre Augen nicht verschließen. Denn es kann jeden selber treffen, ohne Absicht. Und dann ist die Realität auf einmal im eigenen Leben angekommen (wünsch‘ ich natürlich keinem)." nk

Die Autorin, zur Zeit inhaftiert in Sao Paulo, schreibt dazu: „Ich habe die Idee, dass die, die das hier  lesen, ihre eigene Meinung dazu abgeben können, da mich die interessiert.“

Mittwoch, 16. Juni 2010

"Woza Moya ..."



„Passionszeit“ ist im Gefängnis immer. Das scheint  der Sinn seiner Erfindung/Einrichtung und ihrer Durchsetzung durch die Gesellschaft. Rehabilitation, Hilfen zur Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschft werden klein geschrieben oder sind schlichtweg abwesend. Deswegen haben  Besuche, besonders für die ausländischen Gefangenen, einen hohen Stellenwert. Hier eine Momentaufnahme von einem Besuch in einem Frauengefängnis in Sao Paulo, in dem zur Zeit acht Frauen aus Deutschland ihre Haftstrafen absitzen, bezw. noch auf ihren Strafprozess und ihr Urteil warten.

„Jeder will hier ‚raus‘ – das Haupttema in jedem Gespräch, jeden Tag. Auch bei den 900 Frauen in Carandiru regiert die innere Einsamkeit in der überbelegten Haftanstalt. Kurz vor Ostern wollte ich mit Chormitgliedern unserer Kirchengemeinde dort für sieben deutschen Gefangene Osterlieder singen. Wir wollten Hoffnung auf Neuanfänge und Zusage des Nicht-Vergessens-Seins bringen. Doch, in den Regeln und in der Bürokratie gibt es kein Ostern. Nicht vorgesehen.  Kirchen, die nicht öffentlich bei den staatlichen Gefängnisbehörden akkreditiert sind, dürfen in den Gefängnissen keine Aktivitäten entfalten. Aber OSTERN hatte die Frauen nicht vergessen. Bei einem Routinebesuch wenige Tage vor Muttertag bittet die Gefängnisleitung, ein Team von Frauen, zum Gespräch. „Können Sie mit Ihrem Chor im Gefängnis für alle Frauen (über 800) singen, in jedem der vier Gefangenenblocks jeweils 15 Minuten; 14 Sänger sind erlaubt?“ Und ob wir können! Die Reaktion der Chormitglieder war zuerst gemischt, Zurückhaltung wechselte sich später ab mit einem spontanem „Ja, da mache ich mit“. Dann wollte jeder. Aber nur 14 durften. Die Angst vor dem Unbekannten (Gefängnisse in Brasilien sind berüchtigt), den Insassen und davor, das alles seelisch verkraften zu können, weicht schliesslich der Neugier der Nächstenliebe.

Auf zwei langen Bänken entlang den Wänden eines weißgestrichenen Raumes nehmen nach und nach elf junge Mütter mit ihren Neugeborenen im Arm Platz während wir leise eines unserer Lieder anstimmen. Wir sind in der Gefängnisklinik. Kurze Gespräche entwickeln sich, Umarmungen, Berührungen. Eine Frau kommt aus Bolivien, eine andere aus Südafrika, alle anderen sind Brasilianerinnen. Die Kinder fest im Arm haltend, weiß jede: ‚Nach sechs Monaten muss ich mich von meinem Kind trennen.‘ Volks- und religiöse Lieder wechseln einander ab. Wir haben für alle 800 einen Liederzettel mitgebracht. Darunter auch ein Zululied „Woza Moya oyiNgcwele“(Komm. Heiliger Geist). Die Frauen singen mit. Oder haben sie mehr mitgeweint wie einige der Chormitglieder - die meisten übrigens Männer heute. Die Südafrikanerin erhebt sich mit Kind im Arm und fängt an, ein Lied , das sie kennt, solo auf Zulu, zu singen. Mehr Betroffenheit ringsum. Nur schwer trennen wir uns.

Unsere Begleiterin aus der Leitung, hält sich im Hintergrund, räumt alle administrativen Hindernisse aus dem Weg, unter ihrem Wort drehen sich die Eisenschlüssel in den Gittertüren. Wir sind in einem der Wohntrakte der inhaftierten Frauen. Wir bleiben im Erdgeschoß, in der Etage darüber befinden sich die Zellen. Es ist Muttertag. Familien mit Kindern besuchen ihre Mütter Geschwister und Ehepartner. Die Ausländerinnen unter ihnen bleiben ohne Familienbesuch. Wir sind heute ihre einzige Abwechslung. Alle singen mit, manche kräftig, manche leise. Immer wieder laden wir die Wachmannschaften vor den Gittern ein, mitzusingen. Singen habe ich sie nicht gehört. Aber für den Besuch danken sie.

Im letzten Block wohnen nur Ausländerinnen (300). Darunter auch fünf der inzwischen auf acht angewachsenen Deutschen. Freude bricht aus, bei manchen sogar überschwängliche, bricht aus als wir singen. Einige Afrikanerinnen tanzen. Ich sage ein paar Worte auf Englisch: “Jetzt sitzt ihr hier fest. Die Zeit kommt, wenn ihr frei sein werdet, vergesst das nicht. Auch Pilgerinnen müssen sich manchmal ausruhen und hinsetzen, nachdenken und dann weitergehen. Jetzt sitzt ihr an diesem Ort, nicht um für immer festgehalten zu werden in eurem Leben. Um euch auf eure Freiheit vorzubereiten, darum seid ihr hier. Und die Zeit kommt gewiß!“ Einige Satzstücke spreche ich spontan auf Zulu. Typische Zulujubelschreie folgen unwillkürlich. Fünf Deutsche wohnen in diesem Block. Zwei der Chormitglieder haben Briefkontakt mit deutschen Frauen. Sie treffen sich zum ersten Mal - mehr Tränen, mehr Umarmungen. Ein neuer Briefkontakt entsteht. Dank an unsere Begleiterin. Mit dem Kleinbus geht es zurück nach Santo Amaro. Die nachhängenden Gedanken vom Muttertag im Frauengefängnis Carandiru mischen sich mit denen an die eigene Familie, die schon sehnsüchtig auf ihre Männer wartet.